Sibirien XIV: I followed the Moskwa

Fremd und geheimnisvoll
Türme aus rotem Gold
Kalt wie das Eis
(Bernd Meinunger)

Omsk. Obwohl ich eine Woche da war, habe ich von Moskau nicht viel gesehen. Es war ein Arbeitsbesuch, was zum Status Moskaus als einstiger Welthauptstadt der revolutionären Arbeiterklasse natürlich ganz gut passt. Zu meinem Status als interessierter Besucher indes weniger. Andererseits hatte ich so die Gelegenheit, diese Stadt weniger als Tourist denn als Kurzzeit-Moskauer zu erleben. Vielleicht habe ich also doch gar nicht so wenig gesehen. Natürlich wurde zu Moskau schon erschöpfend viel gesagt und geschrieben und gesungen. Aber wer bin ich, dass ich damit kokettieren würde, mich nicht in diese Reihe einordnen zu wollen! Also davaj! Давай!

Moskau besitzt eine der tiefstgelegenen U-Bahnen der Welt. Allein in der Zeit, die man benötigt, um mit der Rolltreppe in den Bahnhof hinabzufahren, fährt man in Berlin zwei volle U-Bahn-Stationen.

Zuallererst möchte ich gestehen, dass Moskau mich an meine Heimatstadt Berlin erinnert hat. Vielleicht liegt es daran, dass ich hier das Großstadtgefühl nach vielen Wochen der diesbezüglichen Enthaltsamkeit mal wieder erleben durfte. Trotz wahrlich teilweise extremen Gedränges in den Katakomben und den Zügen selbst, habe ich es richtiggehend genossen, in Moskau mal wieder U-Bahn zu fahren, mich wie ein Fisch im Wasser durch Menschenmassen zu schlängeln und jenen ambivalenten lässig-gestressten Habitus des Metropolenbewohners anzunehmen. Umgewöhnungszeit gleich Null. Mein derzeitiger Wohnort Omsk ist zwar größer als zum Beispiel Köln, besitzt aber nicht viel von den Eigenheiten einer wirklichen Großstadt – und das ist keinesfalls abwertend gemeint. Auch auf die Gefahr hin, mir selber vorzugreifen, kann ich zugeben, dass mich meine Rückkehr nach Omsk sehr erfreut hat.

Doch wer dich wirklich kennt
Der weiß, ein Feuer brennt
In dir so heiß
(Bernd Meinunger)

Die einzigen touristischen Aktivitäten, für die mir in Moskau Zeit blieben, waren insgesamt eine gute Stunde die Besichtigung des Roten Platzes, eine kurze Promenade durch das Edelkaufhaus GUM mit einem Becher Kvas in der Hand und ein Spaziergang die Einkaufsstraße Tverskaja hinauf. Das war am Vormittag des zweiten Tags.

Die Staatsduma, in der das sitzt, was die russischen WählerInnen sich eingebrockt haben.

Am ersten Tag schlug ich mit 5,5-stündiger Verspätung sanft auf dem Flughafen Sheremetevo auf. Während des Fluges hatte mein Sitznachbar zunehmend den Ehrgeiz entwickelt, mir seine Sprache beizubringen, weshalb er mir erklärte, wie Tragflächen, Wolken, Kopfhörer etc. auf Russisch heißen. Leider habe ich alles wieder vergessen. Nie vergessen werde ich, dass mich meine großartige Kollegin von der Moskauer Deutschen Zeitung nicht nur vom Flughafen abgeholt, dem Fremdling die Funktionsweise der Stadt erklärt und die gemeinsamen Abendgestaltungen angeleitet, sondern für mich auch eine private Bleibe für die eine Nacht organisiert hat, die ich noch nicht in einer der deutschen Botschaftswohnungen eingebucht worden war. Auch dies trug dazu bei, Moskau ein wenig mehr als Einwohner zu erleben.

Tor zur Vergangenheit
Spiegel der Zarenzeit
Rot wie das Blut
(Bernd Meinunger)

Im Vordergrund die deutsche Botschaft in Moskau. Hier steht ein kleines deutsches Dorf, in dem ich untergebracht war.

Das kleine deutsche Dorf auf dem Botschaftsgelände dagegen ist eine ziemlich skurrile Angelegenheit: Zweistöckige Reihenhäuser aus dunkelrotem Backstein umringen mitten in Moskau und doch von der restlichen Stadt durch Mauern abgeschirmt locker einen begrünten Spielplatz, man begrüßt sich auf den ordentlich gepflasterten Fußwegen mit „Guten Tag“, und ein Schwimmbad sowie deutsches Fernsehen in den großräumigen Wohnungen gibt es auch. Allein die Einrichtungsgegenstände passen nicht ganz in das so absichtsvoll klischeehafte Bild, da sie vermutlich von der gleich nebenan beheimateten schwedischen Botschaft inspiriert worden sind und auf lustige skandinavische Namen hören, so sie denn hören könnten – was dann eigentlich doch wieder extrem gut ins Bild passt.

Moskau ist vielerorts längst eine durch und durch verwestlichte Stadt. Zuweilen trifft man aber noch in verborgenen Ecken auf exotische Überraschungen wie diese Spezialitätenrestaurants mit ihren fremd und geheimnisvoll klingenden Namen.

Wer deine Seele kennt
Der weiß, die Liebe brennt
Heiß wie die Glut
(Bernd Meinunger)

Moskau ist keine Stadt für Fußgänger. Alle Wege sind weit. Unfassbar weit. Moskau ist auch keine Stadt für Autofahrer, denn alle Straßen sind verstopft. Moskau wäre eine perfekte Stadt für Radfahrer, wären da nicht Fußgänger und Autofahrer. Und der Winter. Was bleibt, ist der öffentliche Nahverkehr. Die Moskauer Metro ist eine Attraktion, die Bahnhöfe werden nicht von ungefähr als Paläste des Volkes bezeichnet. Sie sind größtenteils so geräumig und Moskau-typisch weitläufig, dass sie im Falle eines Atomkriegs als Schutzbunker hätten dienen sollen. Das spiegelt zwar einerseits so exemplarisch wie tragisch die Naivität des 20. Jahrhunderts wider, führte aber zu architektonisch eindrucksvollen Bauten tief unter der Erde, die den Kalten Krieg im Nachhinein als weniger bedrohlich erscheinen lassen. Damals war wenigstens noch alles übersichtlich. Außer Moskau.

GUM – das Kaufhaus des Westen des Ostens

Über der Erde ist Moskau ebenfalls eine beeindruckende Stadt, auch wenn ihr anzumerken ist, dass hier die gleiche Naivität des 20. Jahrhunderts – wie hier und da auch in Berlin – dazu geführt hat, die Stadt nicht den Menschen, sondern die Menschen der Stadt anzupassen. Praktischerweise musste ich die sich daraus ergebenden Gewaltmärsche über und unter zwölfspurigen Straßen hindurch in meinen sibirischen Schneeschuhen antreten, die ich deshalb auch im milden Moskau trug, weil allein der kurze Weg von meiner Wohnung zum Omsker Flughafen (bzw. die paar Meter von der Haustür zum Taxi und vom Taxi in den Flughafen) dies dringend erforderte. Fazit: Schneeschuhe sind keine Wanderschuhe.

Wie als Sinnbild für die einstige UdSSR lagert in Moskaus Tiefkühltruhen noch die Erinnerung an große Zeiten. Doch sobald man sie aus ihrem Refugium entfernen möchte, übersteht die Erinnerung den Transfer in die neue Zeit nicht und rinnt einem durch die Finger wie tropfende Tränen aus längst vergessenen Träumen.

Moskau ist eine moderne, zuweilen auch mondäne Stadt. Am eigenen Leib konnte ich erfahren, dass das Moskauer Russland doch ein anderes ist als das sibirische. In einem Moskauer Lokal stieß daher auch der Wunsch auf entgleiste Gesichtszüge beim Kellner, das in Omsk übliche Gedeck Wodka und Mors (Beerensaft) serviert zu bekommen, wo doch an allen Tischen rundum an importierten europäischen Weiß- und Rotweinen genippt wurde. Vielleicht hat es mich auch deshalb gefreut, nach einer Woche wieder ins gemütliche, im wirklich wahren Sinne coole Sibirien zurückzukehren und meine täppischen Schneebotten wieder zu Recht spazieren zu führen.

Leider habe ich eigentlich viel zu wenig von der russischen Kapitale gesehen, um mir auch nur irgendein Urteil bilden zu können. Außer vielleicht dieses: Moskau ist nicht zu fassen. Und darum hat es mich so an Berlin erinnert. Ich komme zurück. Zu Euch beiden!

5 Gedanken zu “Sibirien XIV: I followed the Moskwa

  1. mir gefällt es, wie du deine eindrücke vermittelst. beobachtend. nicht wertend.
    beeindruckt hat mich ganz besonders die tiefe ubahn. falls du mal in rendsburg warst und den fluss (wie heisst er gleich?) unterquert hast … da hat es auch eine ewig lange rolltreppe. ob die kürzer oder länger als jene von moskau ist?

    ich freue mich auf die fortsetzung.

    herzlich, soso

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  2. Spannend, sind deine Eindrücke aus Russland. Nehmen die Menschen auch lieber Staus in Kauf, als praktisch mit dem Fahrrad vorwärts zu kommen? Zumindest während der warmen Jahreszeit wären Zweiräder ja wirklich ein gutes Fortbewegungsmittel.

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  3. Mich erinnert Moskau auch sehr an Berlin; an vielen Stellen der Stadt blitzt es einfach so auf. Bisher habe ich noch niemanden getroffen, der mich auf diese Äußerung hin nicht verstört angeguckt hätte. Scheint, dass ich jetzt weiß, wo ich offene Türen einrenne:-) Schöner Text, besonders der Exkurs zur Fortbewegung – was für ein Dilemma, wie wahr

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